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POETIK DES RAUMES - BUCHTIPP WOHNPSYCHOLOGIE

Marion Sens • 2. Juli 2024

Der Schlupfwinkel - Das Haus - Das Nest

Seit nunmehr fast 45 Jahren begleitet mich Gaston Bachelards "Poetik des Raumes", das 1957 geschrieben und bereits 1960 ins Deutsche übersetzt wurde. Fast unscheinbar leicht liegt es wie ein bunter Vogel in der Hand, liest sich immer wieder neu, ist spannend: es erdet, berechnet Längen- und Breitengrade und beschreibt Bilder, die (fast) jeder Mensch kennt:
den Schlupfwinkel, das Haus, die Höhle und auch die "Häuser der Dinge", z.B. Muscheln, Nester, Schubladen und Truhen, danach den Gegensatz von Drinnen und Draußen und schließlich das Bild der Rundheit.
Es lehrt, dass wir immer anders sind, je nachdem, wo wir gehen und stehen, sitzen und liegen, uns immer wieder neu beziehen auf die Welt um uns herum, in uns - und dass es nicht unwesentlich ist, ob wir nun durch eine Tür oder ein Tor, über einen Steg oder einen Weg gehen.
Bachelard (1884 - 1962), Sohn eines Tabakhändlers, der sich zunächst in Paris den Lebensunterhalt als Postbote verdiente, um dann über die Mathematik, die Physik, die Chemie und den Krieg schließlich Philosoph zu werden, begann seine Universitätskarriere erst mit 46 Jahren, schrieb 24 Bücher und erhielt kurz vor seinem Tod für sein Lebenswerk den Grand Prix National des Lettres.
Er träumte Bilder, die in Menschen sind, rieb sie mit Tinte ins Papier und schrieb sich damit in die Architekturpsychologie.Bachelard erklärte Orte des Erlebens, die konstruiert, erfunden werden wollen - von Architekten, Raumgestaltern und Innenarchitekten - für Menschen, die in diesen Orten wohnen, z.B. in einem Haus:
Das Haus schließt Zufälligkeiten aus, es hält den Menschen aufrecht, ist Körper und Seele, die erste Welt des menschlichen Seins, seine Wiege, die sich dem Bewußtsein entzieht, ein Ort, der Bezug nimmt auf die Natur, den Kosmos.
In "Poetik des Raumes" erinnert Bachelard u.a. an Victor Hugos "Notre-Dame de Paris":
"Mit einem kurzen Satz verbindet Victor Hugo die Bilder und die Wesen in der Funktion des Wohnens. Für Quasimodo ... ist die Kathedrale nacheinander Ei, Nest, Haus, Vaterland, All gewesen. Man könnte fast sagen, er habe ihre Form angenommen wie eine Schnecke die Form ihres Muschelhauses annimmt. Das war seine Wohnung, sein Loch, seine Hülle ... er hing daran wie eine Schildkröte an ihrem Schild. Die zerklüftete Kathedrale war sein Panzer".
Gemeinsam mit Quasimodo kann das Nest neu entdeckt werden, es versetzt in die Kindheit zurück, in die Kindheit ganz allgemein. "In KIndheiten, die wir hätten haben sollen". Denn: "Selten sind diejenigen unter uns, denen das Leben das volle Maß seines kosmischen Bezugs gegeben hat." 

Poetik des Raumes - Gaston Bachelard
Fischer Taschenbuch, ISBN-13:97835996273966

Buchtipps unter: https://www.marion-sens.de/Buchtipps

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Das Ideal von Kurt Tucholsky Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast dus nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit: Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn! Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, Radio, Zentralheizung, Vakuum, eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, eine süße Frau voller Rasse und Verve – (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) – eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm. Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste, acht Autos, Motorrad – alles lenkste natürlich selber – das wär ja gelacht! Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd. Ja, und das hab ich ganz vergessen: Prima Küche – erstes Essen – alte Weine aus schönem Pokal – und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal. Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion. Und noch ne Million und noch ne Million. Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit. Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit. Ja, das möchste! Aber, wie das so ist hienieden: manchmal scheints so, als sei es beschieden nur pöapö, das irdische Glück. Immer fehlt dir irgendein Stück. Hast du Geld, dann hast du nicht Käten; hast du die Frau, dann fehln dir Moneten – hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer: bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher. Etwas ist immer. Tröste dich. Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. Dass einer alles hat: das ist selten. (1927)
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